NEUE WEGE
In jedem Gottesdienst – und darüber hinaus mit jeder Veranstaltung – suchen wir zu werden, was wir
im Zuspruch Jesu schon sind: Ein Ort des Friedens in der Welt.
Ein Ort des Friedens: Lange schon hatten wir uns mit der Frage beschäftigt, wie die Gedenktafeln an Verstorbene im Eingangsbereich unserer Kirche so gesehen werden können, dass das Gedenken an Verstorbene, das Bekenntnis zu unserer Geschichte, die Völkermord und Unrecht einschließt, und der biblische Friedensauftrag miteinander in einen Dialog kommen.
Zum Hintergrund
Im Eingangsbereich der Süsterkirche befinden sich Gedenktafeln, die in unterschiedlicher Weise an Verstorbene erinnern, die in Kriegen von 1815 bis 1945 umgekommen sind. Damit verbunden sind Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die u.a. von Deutschen verübt wurden. Die Tafeln erinnern zum Teil in der „Sprache der Täter“ an diese Geschichte und machen eine langjährige Verbundenheit von „Thron und Altar“ deutlich.
Die Gemeinde wollte diesen Eingangsbereich bewusst anders gestalten, um deutlich zu machen, dass sie den Blick in die eigene Geschichte, die auch ein „mit Gott für Volk und Vaterland“ einschließt, nicht leugnet. Aber sie versteht das Evangelium als Auftrag, Schuld zu bekennen, Versöhnung zu leben, auf Gewalt zu verzichten und Frieden zu suchen. Dafür soll der Eingangsbereich den Blick schärfen und zum Nachdenken anregen, ohne den Mittelpunkt des Kirchenraumes mit Abendmahlstisch und Bibel zu verdecken. Die Neugestaltung will
•einen Raum eröffnen zum Innehalten und Nachdenken;
•Stellung beziehen, indem sie den biblischen Auftrag sichtbar und unsere Mitschuld an Völkermord und Menschheitsverbrechen erkennbar macht;
•nicht verurteilen, sondern zu wiederholtem Reflektieren des Geschehens und seiner Hintergründe beitragen, gerade in einer Zeit, wo Zeitzeugen des letzten Krieges in unserem Land nicht mehr ihre Erfahrungen weitergeben können;
•die Veränderung von Kriegen deutlich machen, die in ihrer Dynamik immer mehr Menschen betreffen;
•daran erinnern, dass es weitere Opfer von Gewalt nicht nur in unserem Land, sondern weltweit gibt.
Ein künstlerischer Wettbewerb
Die umfassende Aufgabenstellung führte auf Beschluss der Gemeindeleitung zur Ausschreibung eines Wettbewerbes. Dazu wurden vier Künstler bzw. Architekten eingeladen. Die vier Entwürfe wurden am 16. November 2017 von einem zwölfköpfigen Preisgericht bewertet.
Neben der Gestaltung des Eingangsbereiches mit den Gedenktafeln berücksichtigten alle auch die Wirkung auf den Kirchenraum, und in drei von vier Fällen waren Ideen entwickelt worden für einen behindertengerechten Zugang in die Kirche, den es bislang nicht gibt. Nach mehrstündiger Diskussion kam das Preisgericht zu einem einstimmigen Ergebnis: Der Entwurf von Prof. Thomas Kesseler, Bad Hönningen, wurde auf Platz 1 gewählt. Besonders überzeugt der Entwurf durch seine Dynamik, die Offenheit und interaktive Veränderbarkeit sowie den behindertengerechten Weg an den Gedenktafeln vorbei in den Kirchraum. Die Schrifttafeln ... aus Glas folgen der existentiellen Frage ohne zu erklären, ohne fertige Antworten zu geben. Die Gedenktafeln aus verschiedenen Zeiten verschwinden hinter verschiebbaren Glastafeln und bleiben doch sichtbar, die Durchsichtigkeit verweist auf zeitliche Schichten, die sich wie Schleier über sie legen.“ (Thomas Kesseler)
Die Realisierung
Mit dem Presbyteriumsbeschluss für die Realisierung dieses Entwurfes stellte sich die Frage der Finanzierung. Die Kosten für den rollstuhlgerechten Zugang mit den erforderlichen Begleitmaßnahmen überstiegen die des ursprünglichen Vorhabens um das Drei-bis Vierfache. Doch wie gelingt ein Weg in die Zukunft, wenn wir immer nur auf Machbares und Leistbares schauen? Es gäbe wohl keine Kirchen, wenn sich nicht immer wieder Menschen vor uns zum Bauen entschieden hätten, obwohl es sich nicht „rechnete“ und Geldmittel ungewiss waren. Ende 2017 waren wir nicht sicher, wie schnell unser Entschluss umgesetzt werden könnte. Mit vielen Einzel- und einigen Großspenden und in Beteiligung der Bielefelder Zivilgesellschaft kam dann innerhalb eines Jahres eine Summe von ca. 195.000 Euro an Spenden zusammen, so dass es dann endlich so weit war: Die Arbeiten für einen barrierefreien Zugang in die Süsterkirche und eine neue Gedenkkultur konnten starten, so dass am 1. September 2019 zum 80. Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen und dem Beginn eines großen Kriegsverbrechens ein Friedensweg in die Süsterkirche eröffnen werden konnte. Mit großem Dank fühlen wir uns mit allen Spenderinnen und Spendern verbunden!
Ausdruck einer gottesdienstlichen Grundhaltung.
Die Frage nach der Gestaltung des Eingangsbereiches unserer Kirche ist für uns auch eine Frage des Gottesdienstkonzeptes: Wie einladend und offen wollen wir sein? Wie findet es seinen Ausdruck, dass wir im Auftrag Christi eine Kirche des Friedens sein wollen? Kommen unsere Gebete und Worte in der Gestaltung des Gottesdienstraumes zum Ausdruck?
Den Flyer zum Projekt finden Sie hier
Beiträge, in denen auch über NEUE WEGE berichtet wird: